Das 2010 in einem kleinen französischen Regionalverlag erschienene Buch Histoire du couteau de Laguiole von Christian Lemasson ist seit November 2014 in einer deutschen Übersetzung erhältlich, die Thomas Mößer-Wolf besorgt hat. Das 160 Seiten starke Buch ist unter dem Titel Das Laguiole-Messer als Hardcover im Wieland Verlag erschienen.

Acht Jahre akribischer Arbeit stecken in dem Buch, das seit dem Erscheinen der französischen Originalausgabe zu Recht als das Standardwerk zum Laguiole-Messer gilt, was sich auch in den nächsten Jahren so schnell nicht ändern wird. Christian Lemasson hat aus Familien- und Firmenarchiven eine unglaubliche Materialfülle zusammengetragen, die er in systematischer Form aufbereitet und zu einem fundiert geschriebenen Sachbuch verdichtet hat. Viele Laguiole-Enthusiasten, die der französischen Sprache nicht mächtig sind, haben das Buch allein wegen der zahlreichen Fotos gekauft.

Der Autor zeichnet nicht nur die technische und kulturhistorische Entwicklung des Laguiole-Messers nach, er dokumentiert auch die Geschichte der wichtigsten Familienbetriebe, die im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in und rund um den Ort Laguiole sowie in der Messermetropole Thiers an der Herstellung der Messer beteiligt waren. Ein weiteres Verdienst des Buchs ist, dass es mit einigen Legenden aufräumt, die nach wie vor über das Laguiole-Messer verbreitet werden. Dazu zählt vor allem die Abstammungstheorie, nach der das Laguiole vom spanischen Navaja inspiriert worden sei. Leider ist dieser Unsinn noch immer auf vielen Websites von Händlern und selbst von Laguiole-Herstellern zu lesen.

Die vorliegende Übersetzung beseitigt nicht nur die Sprachbarriere für den deutschen Leser, sie gibt dem Buch auch eine angemessene Form, denn das französische Original hat zwei Schwächen: Es gibt kein Inhaltsverzeichnis, und der Satzspiegel ist nicht gerade lesefreundlich. Das zweispaltige Layout und die Typografie der deutschen Ausgabe erhöhen den Lesekomfort, außerdem erleichtern das Inhaltsverzeichnis und die durchgehenden Kapitelmarken die Orientierung im Buch. Der Ursprungstext wurde – soweit ich das überblicke – nicht gekürzt, allerdings wurden einige Textabschnitte umgruppiert. So wurden die Textpartien des „Addenda“ überschriebenen Schlusskapitels des Originals auf andere Kapitel verteilt und sind dort als braun hinterlegte Textkästen aus dem regulären Textfluss herausgehoben.

Die Qualität der Übersetzung ist aufs Ganze gesehen tadellos! Dem deutschen Text ist nicht anzumerken, dass er aus dem Französischen stammt. Der Übersetzer Thomas Mößer-Wolf stand im Kontakt mit dem Autor und konnte zudem auf das Fachwissen von Wolfgang Lantelme zurückgreifen, der ebenfalls ein ausgewiesener Spezialist für französische Messer ist. Es sind lediglich Kleinigkeiten, die mir bei der Lektüre negativ aufgefallen sind: So färbt die französische Schreibung eines Wortes gelegentlich auf die deutsche Schreibweise ab (z. B. „Bistrots“ statt „Bistros“, „Renommée“ statt „Renommee“, „Napoléon“ statt „Napoleon“). An einer Stelle gerät die Übersetzung des Wortes „ampoule“ mit „Birne“ (statt „Glühlampe“) zu sehr ins Umgangssprachliche und produziert unfreiwillig eine Stilblüte: „Die Rue du Valat wurde seinerzeit nur von ein paar Birnen beleuchtet“ (S. 30).

Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass französische Fachbegriffe wie „mitre“ (Backen), „mouche“ (Fliege), „ressort“ (Feder) oder „talon“ (Klingenwurzel) zu deutschen Substantiven gemacht werden. Die Beibehaltung der französischen Termini hat aber den unschätzbaren Vorteil, dass der Text sozusagen einen frankophonen Sound erhält und nicht zu sehr nach Solingen klingt. Im Text ist also durchweg von Mitres die Rede, von Mouches oder vom Ressort oder dem Talon eines Laguiole, wobei jedoch im Sinne der Ausdrucksvariation französische und deutsche Fachtermini ab und zu auch gemischt verwendet werden: „Die Laguiole-Droits von Poyet-Sivet aus den 1870er-Jahren hatten einen vollen Griff ohne Mitres […] Bald stattete Poyet-Sivet seine Modelle mit Messing-Backen aus“ (S. 82). Wer sich die Begriffe nicht merken kann, kann jederzeit Seite 6 konsultieren, wo eine Strichzeichnung alle Bestandteile eines Laguiole-Messers sowohl mit den deutschen als auch mit den französischen Fachbegriffen erläutert.

Bis auf  wenige unwichtige Ausnahmen werden alle Fotos der Originalausgabe auch in der deutschen Fassung reproduziert. Schade ist lediglich, dass aus satztechnischen Gründen einige Fotos kleiner dargestellt werden und rigoroser beschnitten sind als im Original. Das macht sich vor allem bei zwei historischen Fotos schmerzlich bemerkbar. So wurde auf Seite 59 bei dem Gruppenfoto vor der Werkstatt von Pierre Calmels der obere Teil des Fotos abgeschnitten, der im Original (S. 75) den Firmennamen zeigt, der von den Medaillen, mit denen die Calmels-Messer ausgezeichnet wurden, flankiert wird – ein Bilddetail, das durchaus Beachtung verdient. Das historische Foto auf Seite 27, das die in der Rue du Valat posierenden Handwerkerfamilien zeigt, ist gegenüber dem Original (S. 32) stark verkleinert und ebenfalls am oberen Bildrand beschnitten. Das Originalfoto von 1885 ist allein wegen seines Alters von sehr schlechter Qualität, in der Verkleinerung sind nun manche Details fast überhaupt nicht mehr auszumachen, was umso bedauerlicher ist, als der Autor gerade dieses Foto mit einer ausführlichen Beschreibung versehen hat.

Zugegeben: Das ist Kritteln auf sehr hohem Niveau. Insgesamt ist die deutsche Ausgabe eine überaus gelungene und würdige Präsentation des Originals, das es in puncto Ausstattung und Lesefreundlichkeit sogar deutlich übertrifft. Künftig werden sich die Nicht-Leser dieses Buchs dadurch verraten, dass sie noch immer die romantischen Napoleon-, Biene-, Schäferkreuz- und Navaja-Märchen über das Laguiole-Messer erzählen, die Christian Lemasson durch Fakten entzaubert hat.

Christian Lemasson: Das Laguiole-Messer, 160 Seiten, Format 20 x 26 cm, Hardcover, EUR 39,90 (ISBN 978-3-938711-68-2)

Meine Besprechung der französischen Originalausgabe finden Sie hier.